Das Silber meiner Urgroßmutter

In fast jeder Familie gibt es Erbstücke, die von Generation zu Generation weitergegeben, zwar keinen allzu großen materiellen, aber dennoch einen, für die Familie, um so größeren ideellen Wert besitzen. Stücke, die vielleicht in einer Schublade verstaut nicht Bestandteil des täglichen Lebens sind, aber doch zur Familie gehören und deren damit verbundene Geschichten von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Auch in meiner Familie gibt es einige wenige dieser ganz besonderen Erinnerungsstücke.


Ein versilbertes Besteckset, zufällig in einer Schublade meiner Urgroßmutter entdeckt, gehört zu eben diesen besonderen Stücken. Ein zugegebenermaßen etwas seltsames Besteckset, das aus jeweils sechs unterschiedlichen Teilen besteht - keine zwei Besteckteile gleichen sich.



Die Kriegsjahre waren für all jene, die sie erleben mussten, eine Zeit der Entbehrung und der Not. Wenn überhaupt, gab es in dieser Zeit nur das Lebensnotwendigste in den wenigen Geschäften zu kaufen. Doch davon ließ sich meine Urgroßmutter nicht abhalten. Für ihre anstehende Hochzeit mussten all die vielen, damals als notwendig erachteten Dinge für ihre Aussteuer besorgt werden. Und so fehlte nur noch das damals übliche Silberbesteck. Da es aber in keinem der im Umkreis ansässigen Geschäften zu dieser Zeit Silber zu kaufen gab und meine Urgroßmutter nicht darauf verzichten wollte, erwarb sie kurzerhand die in einem Geschäft ausgestellten Musterteile, sechs unterschiedliche Bestecksets. Es hat viel Überredungskunst gekostet, die Verkäuferin zu überzeugen, ihr die Besteckteile zu überlassen, ungewöhnlich war es allemal.

Und so wurde neben monogrammbestickter Wäsche auch das Besteck zu einem ganz persönlichen Teil ihrer Aussteuer. Die ungewöhnlichen Teile haben sie fast ein Leben lang begleitet, getrennt hat sie sich davon erst, als sie sie meiner Mutter, mit eben dieser Geschichte, überließ - "weil du, wie ich, auch die schönen Dinge so magst."

Einmal im Jahr, hat eben dieses Besteck seinen ganz großen Auftritt. Traditionell an einem ungemütlichen Winternachmittag geputzt und poliert, glänzt es dann am Heiligen Abend auf der gedeckten Tafel. Neben Gläsern und Geschirr, auf weißem Leinen, verströmt es seinen ganz eigenen Charme und vermittelt uns damit nicht nur die Ahnung von schlimmen Kriegsjahren, sondern auch die Erinnerung an einen ganz besonderen Menschen.  



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